Carmify: April Playlist

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Unruhen, Geschrei und 27 Verletzte – am 29. Mai 1913 wird Igor Strawinskys Werk „Le sacre du printemps” uraufgeführt. Das Ballett verwandelte das „Theatre des Champs Elyssées“ in Paris in einen tobenden Boxring. „Eine gut gekleidete Dame in einer Orchesterloge stand auf und schlug einem  jungen Mann, der in der nächsten Loge zischte, ins Gesicht. Ihr Begleiter erhob sich und die Männer tauschten ihre Visitenkarten aus. Ein Duell folgte am nächsten Tag”, erinnerte sich die ungarische Tänzerin Romola v. Pulszky. Schon zu Beginn der Aufführung brach Gelächter im Publikum aus, das schließlich in richtigen Schlägereien endete. Der Skandal um „Das Frühlingsopfer”, wie das Werk auch oft genannt wird, ging in die Musikgeschichte ein. Doch was löste diese ungewöhnliche, ungezähmte Reaktion des Publikums aus? War es die Tatsache, dass das Stück keine wirkliche Handlung wie ein reguläres Ballett hat, sondern vielmehr aus verschiedenen aneinandergereihten Tänzen besteht?

Lag es an der Choreographie? Oder am ungewohnten Klang, der für viele zunächst irritierend klingen mag? Klar ist, dass unter Strawinskys Verwendung von musikalischer Schichtung, Polyrhythmik und Polytonalität ein Werk entstand, das sich deutlich gegen den ästhetischen Wohlklang, gegen die Harmonie stellte. Etwas, womit das Publikum nicht gerechnet hatte. „Das ist offenbar alles, was man uns gibt, nach 100 Probedurchläufen und einem Jahr harter Arbeit. Zweifellos wird man eines Tages verstehen, dass ich einen Überraschungscoup auf Paris gelandet habe, Paris aber unpässlich war. Bald wird es seine schlechte Laune vergessen”, so Strawinsky in einem Interview mit der New York Times einige Tage nach der Aufführung. Auch wenn das Stück nicht auf die gewünschte Resonanz traf, machte es den Komponisten noch berühmter und zu einem der bedeutendsten Vertreter der Neuen Musik.

Wer nicht wagt…

No risk, no fun. So sehr gewisse Phrasen auch verachtet werden, manchmal steckt doch ein wahrer Kern dahinter. Auch heute gibt es immer wieder Künstler, die ihre Zuschauer überraschen. Stravinsky nutzte das Fremde in seiner Musik als zentrales Element. Auch heute wagen sich Musiker daran – wenn sie ihr gewohntes Genre, und somit gewissermaßen auch ihre Komfortzone verlassen: Die Beastie Boys aus New York gehören bis heute, etwa sechs Jahre nach ihrer Auflösung, zu den erfolgreichsten Hip-Hop-Bands aller Zeiten. Und diesen Erfolg schreiben sie nicht zuletzt dem Ausbrechen aus ihrem bekannten Genre zu. Denn sie starteten 1979 als Hardcore-Punk-Band, nannten sich damals noch „The Young Aborigines“. Zugegeben, der Schritt in den Hip-Hop startete als Witz: Cooky Puss, so lautete der Name der ersten Hip-Hop-Single der Beastie Boys, basierte auf einem Scherzanruf, den die Band mit dem Eiscreme-Unternehmen Carvel machte. Dieses Experiment katapultierte die New Yorker in die Charts und Riege der Hip-Hop-Stars.

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Igor Stravinsky, Antonio Vivaldi
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Beastie Boys

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Experimentierfreudig

Genre-Überschreitungen haben nicht immer einen künstlerischen Ursprung. Letztendlich müssen Musiker Platten verkaufen. Und so geben Labels auch oft eine gewisse Richtung an, die die Künstler dem Erfolg zuliebe einschlagen sollten. Umso erstaunlicher ist es daher, wenn der Gedanke des Erfolges aus dem Hinterkopf gelöscht wird und Musiker die Musik machen, auf die sie gerade Lust haben. Kanye West wird von Kritikern als einer der experimentierfreudigsten Musiker unserer Zeit bezeichnet. 2008 kreierte der amerikanische Rapper mit „808 & Heartbreak“ ein R&B- und Elektro-lastiges Werk, das im absoluten Kontrast zu seinen vorherigen Rap-Alben stand. Auffällig ist auf dem vierten Studioalbum vor allem der häufige Gebrauch von „Autotune“ und die Tatsache, dass West keinen einzigen Sprechgesang-Part hat.

„808 & Heartbreak“ wurde von Musikmagazinen als Avantgarde Elektropop, als “Introspektiver Synthpop” oder Experimenteller Pop bezeichnet. Wie auch immer man das Album nun nennen mag, Aria Nejati, Chefredakteur von Hiphop.de brachte es auf den Punkt und nannte „808 & Heartbreak“ den „Türöffner für eine ganze Generation an Pop- und Rapstars, die mutig genug sind, von traditionellen Thematiken, Texturen, Stimmlagen, Betonungen, Melodien und Arrangements Abschied zu nehmen.“ Neben Kanye West reihen sich heute Musiker wie Kendrick Lamar oder Childish Gambino an, die ihre Zuhörer immer wieder mit neuen Sounds und gewagten Lyrics überraschen und sich an die Grenzen des Hip-Hop wagen.

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Kanye West

Ausbrechen lautet also die Devise. Welche bessere Zeit gibt es dafür, als den Frühling? So nehmen wir uns ein Beispiel an den Hyazinthen und Krokussen und brechen aus unserem Winterschlaf aus. Indem wir uns auf neue Genres einlassen, aufsteigende Künstler wie Courtney Marie Andrews und starke Singles wie „Make Me Feel” von Janelle Monae feiern – und dabei ganz nebenbei eines von Vivaldis bekanntesten Werken verinnerlichen.

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Text by Vivian

Layout by Angela